Tag 11: Gestrandet in North Shawbost…

…und dann noch an einem Sonntag !

Schlimmer geht’s nimmer. Die Bevölkerung dieser Gegend gehört überwiegend der Glaubensgemeinschaft der „Free Church of Scotland“ an, die es ihren Mitgliedern strikt untersagt, an einem Sonntag gewerbliche Unternehmungen der Tätigkeiten durchzuführen, die die Sonntägliche Ruhe stören würden.

Demzufolge tut sich gar nichts. Überhaupt nichts. Es fahren weder Taxen noch der öffentliche Nahverkehr. Es wird keine Wäsche im Garten aufgehängt und es haben weder Geschäfte noch Cafes oder Restaurants geöffnet. Geschäfte oder Restaurants gibt es hier in Shawbost nicht. Wohl aber ein Cafe – was mir an meinem freien Tag nun so gar nichts nützt. Meine Essenvorräte sind begrenzt, morgen früh ist alles leer. Aber keine Angst, ich bin weit davon entfernt, zu verhungern.

Zum Glück war ich gestern ansprechend müde. So habe ich eine zwar unruhige aber dennoch erholsame Nacht verbracht. Von den Rückenschmerzen auf der Isomatte natürlich abgesehen. Unruhig deshalb, weil hier ein seltener Vogel wohnt, der merkwürdige Geräusche sehr laut von sich gibt. Das fing in der Abenddämmerung langsam und mit Unterbrechungen an. Da die Unterbrechungen und die Laute recht regelmäßig kamen, glaubte ich zunächst an eine Alarmanlage in einem kleinen Betrieb nicht weit vom Platz entfernt. Meine enthusiastischen Nachbarn aus Edinburgh haben mir dann offenbart, dass es sich um einen Vogel handelt, dessen Namen sie wussten, ich aber mir nicht merken konnte. Mit zunehmender Dämmerung wurde der Vogel nicht nur lauter, es gab über viele Stunden auch keine Pause. So lange, bis es langsam wieder heller wurde.

Mit der Dämmerung bzw. Dunkelheit ist das hier oben ja auch so eine Sache. Es wird quasi nicht dunkel. Zwar kann man irgendwann ohne Licht nicht mehr lesen, aber ansonsten ist es hell.

Den Tag habe ich überwiegend mit Herumlungern verbracht, mein Bewegungsradius ist ohne Rad irgendwie etwas eingeschränkt. Ein paar Stunden bin ich am Strand und an der Steilküste herumgewandert. Es ist schon cool das zu sehen und dabei fast allein zu sein. Die wenigen anderen Menschen sind jedenfalls zumeist außer Rufweite. Zum Teil seltene Vögel und natürlich Schafe sind unterwegs. Ansonsten herrscht entspannte Stimmung vor.

Der kleine Platz war tagsüber recht leer geworden. Wie auch ich planen die meisten immer nur einen Stopp über Nacht ein. Ab Nachmittag füllte sich das Lager dann wieder. Wobei: mehr 20 oder 25 Wagen oder Zelte stehen hier nicht.

Ein älteres Ehepaar aus Newcastle saß vor ihrem Camper und spähten mit Ferngläsern in ein Gebüsch neben dem Platz. Als ich sie ansprach, ob sie den irren Vogel suchen, wurden sie ganz aufgeregt. Er erklärte mir den Namen noch einmal, rannte in das Wohnmobil und holte ein Vogelbuch mit einem Bild von dem Krachmacher heraus. Zugleich luden mich die beiden zu einem Glas Alkohol ein, was ich freundlichst verneinte. Auf die Frage nach einem Bier gab es kein Ausweichen mehr. Da saßen wir also im Gras und plauderten ein wenig über Wandern und Radreisen, Oberstdorf und Schottland, Merkel und May, Kim und Trump. Über die Menschen hier und ihre Gastfreundlichkeit. Andere gesellten sich wegen des Vogels kurz dazu und gingen wieder.

Der Vogel heißt „Corncrake“, also „Wachtelkönig“ und jeder will das Biest mal sehen – ich am liebsten auf dem Teller.

Die Leute von gestern schauten vorbei und fragten, ob alles in Ordnung sei und wie es morgen weitergeht.

Nachdem wir uns verabschiedet haben, weil die Midges zu aufdringlich wurden, musste ich kurz noch einmal in die Keramik. Als ich zurück kam, hatte ich ein frisches Bier vor dem Zelt stehen und wurde noch einmal befragt, ob ich wirklich alles hätte. Zu Essen, Trinken, Schokolade und Nüsse.

Unglaublich, die Menschen hier. Noch unglaublicher wird es, wenn sie erzählen, wie ihnen geholfen wurde oder wie sie anderen bereits geholfen haben. Glaube mir: Du bekommst ein schlechtes Gewissen, weil Du weißt, dass Dir das zuhause wahrscheinlich so nicht widerfahren wird. Schade ist das. Und das sage ich, weil ich es einmal mehr zu schätzen weiß, dass mir als Fremden, als Ausländer offenherzig und mit wenig oder keinen Vorbehalten begegnet wird! Ich selbst habe neulich, als ich vergebens das Hostel suchte, an eine Tür geklopft. Nach mehrmaligem Rufen habe ich die Türklinke gedrückt. Das Haus war nicht verschlossen, obwohl niemand zuhause war. Auf manchen Camp Sites gibt es „Honesty Boxen“ Es ist niemand vor Ort, der die Übernachtungskosten kassiert und kontrolliert, dass wirklich jeder bezahlt. Vielmehr wird an die Aufrichtigkeit appelliert und darauf gebaut, dass jeder dafür, was er nutzt oder an anderen Stellen kauft, den geforderten Preis bezahlt und in die Box legt. Beim Hof Pille in Bad Bad Laer ist das auch so. Zumindest so lange, bis die Erdbeerzeit begonnen hat. Dann ist der „Schwund“ zu groß….

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